Aus Fehlern lernen

Man kommt bei der Recherche zum Thema digitale Schule nicht an Projekten vorbei, die in den Sand gesetzt wurden. Tatsächlich hat man bisweilen den Eindruck, dass es davon mehr gibt, als solche, die erfolgreich waren. Aber was taugt nicht das größte Scheitern, um nicht zumindest noch etwas daraus lernen zu können.

Ella – Elektronische Lehr- und Lernassistenz

  • Initiator: Kultusministerium Baden-Württemberg
  • Start: August 2017
  • Projektstopp: März 2018, nach gescheitertem Pilotversuch
  • Kosten: 6,5 Mio. EUR + Übernahme von Hardware aus dem Projekt im Wert von 5,5 Mio. EUR

Mit diesem Projekt hat sich ein ausführliches und sehr lesenwertes Gutachten des Landesrechnungshofes beschäftigt: https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-im/intern/dateien/pdf/20190909_Rechnungshof_Gutachten_ella.pdf.

Darin formuliert sind hervorragende Empfehlungen, wie man eine digitale Bildungsplattform (DBP) in Zukunft erfolgreich gestalten kann (Kapitel 1.4 ab S. 11 und im Detail noch einmal in Kapitel 7.4 ab S. 67):

  1. Das Land sollte, ggf. gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden, die derzeitige IT-Ausstattung der Schulen erheben. Dabei sollte erfragt werden, welche digitalen An-gebote bzw. Lösungen an den Schulen bereits eingesetzt werden und wie die Schulen diese bewerten.
  2. Bei der Entscheidung, welche Anwendungen auf der DBP angeboten werden, sollten die vorhandenen digitalen Lösungen berücksichtigt und die Erfahrungen der Nutzer einbezogen werden. Es sollte geprüft werden, inwieweit vorhandene Lösungen bestehen blei-ben und/oder in die DBP überführt werden können. Die Zuständigkeiten für digitale Angebote und die Betreiberstruktur sollten überprüft und ggf. bereinigt werden.
  3. Neben den im Land bereits genutzten Verfahren sollten auch Alternativen in die Überlegungen einbezogen werden. Hierzu sollten die Cloud-Lösungen anderer Länder und am Markt erhältliche Angebote geprüft werden.
  4. Für die Neukonzeption der DBP sind angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen. Dabei müssen sämtliche Kosten des Projekts vollständig erfasst werden. Dies betrifft neben Kosten für Investitionen, Dienstleistungen Dritter, den Rollout, den Betrieb und den Support auch die Kosten des im Projekt eingesetzten Personals. Mit Blick auf den angestrebten flächendeckenden Einsatz sollte sich das Land frühzeitig mit den kommunalen Landesverbänden über die Kosten des Betriebs verständigen.
  5. Die Anforderungen an die DBP sollten präzise beschrieben werden. Insbesondere jene Punkte, bei denen im bisherigen Projektverlauf Unklarheiten über den Leistungsumfang entstanden waren, sollten detailliert ausgeführt werden. Leistungen sollten möglichst umfassend vertraglich vereinbart werden. Mit der Umsetzung des Projekts sollte erst begonnen werden, wenn die Projektplanung abgeschlossen ist und ein umfassender Projektauftrag vorliegt.
  6. Es sollten Mindeststandards bei den Schulen festgelegt werden, die für einen Zugriff auf die neue DBP erfüllt sein müssen. Angesichts ungelöster administrativer Fragen und des zu erwartenden hohen Ressourcenbedarfs sollten die Themen Identitätsmanagement, Nutzerdatenverwaltung, Rollout und Support stärker als bisher in den Fokus gerückt werden. Mit Blick auf Praxistauglichkeit und Akzeptanz sollten in diesen Prozess auch potenzielle Nutzer einbezogen werden.
  7. Informationssicherheit und Datenschutz sind sicherzustellen. Hinsichtlich der Informationssicherheit sollte nach IT-Grundschutz vorgegangen werden.
  8. Für IT-Projekte sind EVB-IT-Verträge zu nutzen.
  9. Bei der Neukonzeption der DBP ist – wie bei allen Projekten der Informationstechnik -der Projektmanagement-Leitfaden des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration (IM) anzuwenden. Für die Projektsteuerung sollten ausreichende personelle Ressourcen bereitgestellt und geeignete Entscheidungs- und Eskalationsinstanzen ge-schaffen werden.
  10. Das Land sollte eine Strategie zum Einsatz von Cloud-Technologien in der Landesverwaltung entwickeln. Dabei sollte sowohl die Nutzung in eigenen Rechenzentren, der gemeinsame Betrieb mit Partnern als auch die Nutzung externer Anbieter untersucht und bewertet werden.

ASV – Amtliche Schulverwaltung

Auch hier wurde der Landesrechnungshof mit einem Gutachten bemüht: https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/6000/16_6216_D.pdf

Auch hier wurden (erneut vorbildlich) Handlungsempfehlungen formuliert (Kapitel 1.4 ab S. 10):

  1. Die Nutzung von ASV-BW sollte an allen Schulen verpflichtend vorgegeben werden. Soll der vorgegebene Termin zur verpflichtenden Nutzung von ASV-BW gehalten werden, müssen im weiteren Projektverlauf die Sicherstellung der Kernfunktionalitäten priorisiert und erhebliche zusätzliche Kapazitäten für den Rollout bereitgestellt werden. Bei Inkrafttreten der Nutzungsverpflichtung sollten alle Schulzweige zumindest ihre Lieferpflichten für Zwecke der amtlichen Schulstatistik aus ASV-BW heraus leisten können.
  2. ASV-BW und ASD-BW sollten weiterentwickelt werden, um sämtliche Statistik- und Steuerungsdaten einschließlich anonymisierter Schülerindividualdaten mit diesen Verfahren gewinnen bzw. verarbeiten zu können.
  3. Um die Benutzerfreundlichkeit von ASV-BW zu verbessern, sollten Erfahrungen der Schulen im Umgang mit bisher eingesetzter Schulverwaltungssoftware berücksichtigt und verstärkt schulspezifische Voreinstellungen angeboten werden.
  4. Bei der Einführung sollten die Schulen stärker als bisher unterstützt werden. Mit Blick auf den zu erwartenden sprunghaften Anstieg des Schulungsbedarfs sollte die Umsetzung einer webbasierten Schulungsform geprüft, die Informationsbereitstellung – etwa auf der Homepage – zielgruppenorientierter gestaltet und die Kommunikationsstrategie verbessert werden. Hierbei sollte eine Zusammenarbeit mit den Kommunalen Landesverbänden angestrebt werden.
  5. In der Umsetzungsphase sollten die Kompetenzen der oberen und unteren Schulaufsichtsbehörden stärker als bisher eingebunden werden. Dies gilt auch mit Blick auf die für einen Rollout erforderlichen Kapazitäten auf Seiten der Kultusverwaltung.
  6. Das Kultusministerium sollte das Nebeneinander von dezentralen und zentralen Betriebskonzepten unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten überprüfen und sich für ein einheitliches Betriebskonzept entscheiden. Die Eignung und Akzeptanz eines zentralen Betriebskonzepts sollten im Dialog mit der Landesoberbehörde IT Baden-Württemberg (BITBW) und Schulträgern bzw. den Kommunalen Landesverbänden geklärt werden.
  7. Das Kultusministerium sollte nach IT-Grundschutz des BSI vorgehen. Dafür sollte es den Schutzbedarf für ASV-BW feststellen und ein Informationssicherheitskonzept erstellen. Darin sollten die für alle Installationen geltenden Anforderungen und Maßnahmen zur Informationssicherheit dokumentiert sowie die Rollen- und Berechtigungen für ASV-BW verbindlich festgelegt sein. Weiter sollte es darauf hinwirken, dass die Betreiber und Nutzer ihre lokalen Besonderheiten ebenfalls in einem Informationssicherheitskonzept dokumentieren.
  8. Der Rechnungshof empfiehlt, vor einer verpflichtenden Einführung von ASV-BW eine Verständigung mit den Kommunalen Landesverbänden und den privaten Schulträgern über eine finanzielle Beteiligung an den Kosten von ASV-BW herbeizuführen. Die Beteiligung der kommunalen Seite könnte pauschaliert im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs abgewickelt werden.
  9. Die in der Kultusverwaltung eingesetzten IT-Verfahren sollten mittelfristig funktional konsolidiert werden. Dazu sollten Statistik- und Steuerungsdaten in einem dafür ausgelegten IT-Verfahren zur Verfügung gestellt werden. Operative IT-Verfahren, wie z. B. ASD-BW, sollten sich auf die Unterstützung operativer Geschäftsprozesse beschränken
  10. Bei Projekten der Informationstechnik ist der Projektmanagement-Leitfaden des Innenministeriums anzuwenden. Für ein Kostencontrolling sollte das Rechnungswesen des Landes konsequent genutzt werden.

Und wo Projektmanagement-Style 1998 zu Grunde liegt, kommt auch an der Benutzeroberfläche wenig Charmantes raus. Die Schulen sind, gelinde gesagt, wenig begeistert von der Software, was man anhand dieses Screenshots aus der Online-Hilfe des Programms durchaus verstehen kann:

Was wurde eigentlich aus…

Neben den großen gescheiterten Projekten gibt es auch eine Vielzahl kleinerer Projekte, die irgendwie in der Versenkung verschwunden zu sein scheinen… Was ist z.B. aus dem „Lernraum“ des LMZ geworden? 2016 noch preisgekrönt, ist heute davon nichts mehr zu hören: https://www.digita.de/2016/didwerk.htm

Ihr habt noch mehr Beispiele? Immer her damit: inga@ingaklas.de

Bildquelle: https://pixabay.com/illustrations/black-white-sketch-edward-lear-1819019/